Einleitung. Der Tractat Jebamot behandelt die drei Gesetze, die Deut. 25, 5—10 niedergelegt sind. A) Wenn nämlich ein Ehemann stirbt, ohne einen Nachkommen zu hinterlassen, so hat in erster Reihe der älteste, in zweiter der nächstfolgende überlebende Bruder, der von demselben Vater erzeugt ist und mit dem Verstorbenen gleichzeitig, wenn auch nur in einem Momente, gelebt hat, die Pflicht, die verwitwete Schwägerin zu ehelichen. Während sonst die Witwe des nicht ohne Nachkommen verstorbenen Bruders dem überlebenden zur Ehe verboten ist (Lev. 18, 16 und 20, 21), so ist in diesem Falle diese Ehe nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Man nennt solche Ehe יבום = Leviratsehe (vom lat. levir = Schwager, d. i. Bruder des Gatten); der Levir heisst יבם, die Schwägerin, die er zu ehelichen verpflichtet ist, יבמת oder יבמה. Die Leviratsehe kann, wie jede andere giltige Ehe, nur durch den Tod des Gatten oder durch Scheidung gelöst werden. B) Wenn jedoch der Bruder diese Ehe nicht eingehen will, oder Gründe vorhanden sind, die diese Verbindung nicht zulassen oder nicht als ratsam erscheinen lassen, so muss zunächst die Witwe den Schwager vor einem Gerichte zur Erfüllung seiner Pflicht auffordern und der Levir seine Weigerung erklären; sodann hat er die Schwägerin den Schuh von seinem Fusse abziehen und diesen entblössen, vor seinem Angesicht ausspeien und sie die Formel aussprechen zu lassen: „Also geschehe dem Manne, der das Haus seines Bruders nicht erbauen will“. Dieser Act, nach dessen Vollziehung die Witwe jede beliebige Ehe eingehen kann, heisst חליצה = Entschuhung (nach Deut. 25, 9). C) Solange nicht die Leviratsehe oder die Chaliza stattgefunden, darf die Witwe keine neue Ehe eingehen; sie heisst זקוקה ליבם = an den Levir gebunden, und das Band der Leviratsehe-Pflicht heisst זיקה. Das Gebot der Leviratsehe erleidet jedoch gewisse Einschränkungen: 1) Wenn der Levir und die verwitwete Schwägerin in dem Grade verwandt sind, dass eine eheliche Verbindung zwischen ihnen wegen Incests gesetzlich unmöglich, d. h. mit gerichtlicher Todesstrafe oder der Strafe der Ausrottung bedroht ist (sie ist z. B. seine Tochter, die Schwester seiner Frau u. dergl.), so fällt für diesen Levir die Pflicht der Leviratsehe resp. der Chaliza fort. Hat er keinen andren Bruder, so darf die Schwägerin ohne weiteres eine neue Ehe eingehen (מותרת לשוק). Hinterlässt der Verstorbene zwei (oder mehr) Frauen, von denen die eine dem Levir wegen Incests zur Ehe verboten ist, so darf er auch die andre (die צרה = Nebenfrau) nicht ehelichen, und diese darf (auch ohne Chaliza) sich anderweitig verheiraten. Hinterlässt der Verstorbene zwei (oder mehr) Frauen, von denen keine dem Levir wegen Incests zur Ehe verboten ist, so kann er nur an einer von diesen die Leviratsehe vollziehen oder nur einer die Chaliza erteilen; die andre Frau darf dann ohne weiteres jede beliebige Ehe eingehen. Hinterlässt er mehrere Brüder und mehrere Frauen, so darf nur ein Bruder an einer Witwe die Leviratsehe vollziehen oder ihr die Chaliza erteilen; für die andren Brüder fällt diese Pflicht fort. 2) Wenn der verstorbene oder der überlebende Bruder durch natürliche Fehler unfähig ist, Kinder zu zeugen, oder die Witwe unfähig ist, Kinder zu gebären, so hat weder die Leviratsehe noch die Chaliza zu erfolgen. 3) Wenn die eheliche Verbindung zwischen dem Levir und der Schwägerin zwar nicht mit Ausrottungsstrafe bedroht, aber dennoch das Eingehen resp. die Fortsetzung der Ehe mit Uebertretung eines Thoraverbotes verbunden ist (z. B. zwischen einem Hohenpriester und der Witwe, oder zwischen einem gemeinen Priester und der Witwe, wenn diese von einem früheren Gatten geschieden war u. s. w.), so darf nicht die Leviratsehe, sondern nur die Chaliza vollzogen werden. 4) Wenn das Eingehen und die Fortsetzung der Ehe nach dem Gesetz wohl zulässig ist, aber andre Gründe vorliegen, die die Ehe nicht als ratsam erscheinen lassen (z. B. unheilbare Krankheiten, Ungleichheit des Alters u. dergl.), so soll nicht die Leviratsehe, sondern die Chaliza erfolgen. Der Tractat Jebamot zerfällt in 16 Abschnitte. Im 1. Abschnitt werden die Frauen aufgezählt, deren Ehe dem Levir bei Strafe der Ausrottung verboten ist, denen (sowie deren Nebenfrauen) gegenüber somit das Gebot der Leviratsehe und der Chaliza fortfällt. Der 2. Abschnitt behandelt zunächst den Fall, dass nach dem Tode des Gatten diesem ein Bruder geboren wurde. Sodann werden die Frauen genannt, die man infolge einer rabbinischen Satzung oder der Heiligkeit des Standes nicht ehelichen darf. Darauf wird die Frage besprochen, inwiefern ein nicht rechtmässig erzeugtes Kind die Pflichten eines legitimen zu erfüllen hat resp. welche Rechte es geniesst; schliesslich werden einige Frauen erwähnt, die man unter gewissen Umständen nicht heiraten darf. Der 3. Abschnitt enthält besondere Fälle, in denen mehrere Brüder Schwestern geheiratet haben, und nennt diejenigen, in welchen die Leviratsehe resp. die Chaliza zulässig oder verboten ist. Der 4. Abschnitt behandelt die Frage, was zu geschehen hat, wenn die verwitwete Schwägerin nach vollzogener Chaliza oder Leviratsehe als schwanger befunden wird; wem das Vermögen der Jebama oder der Chaluza gehört; welche Blutsverwandten der Chaluza resp. dem Levir zur Ehe verboten sind; wie lange man mit der Leviratsehe und der Chaliza nach dem Tode des Gatten zu warten hat und welches Kind ein Bastard (Mamzer) genannt wird. Im 5. Abschnitt wird festgesetzt, welche gesetzlichen Folgen für die Schwägerin die „Heirats-Ansprache“, die Beiwohnung, der Scheidebrief und die Chaliza hat. Der 6. Abschnitt spricht von den verschiedenen Arten der Beiwohnung, von den Frauen, die die Priester heiraten dürfen, und dem Gebote der Fortpflanzung. Im 7., 8. und 9. Abschnitt wird auseinandergesetzt, welche Personen infolge ihrer verwandtschaftlichen oder rechtlichen Beziehung zu einem Priester (Leviten) Hebe (Zehnt) geniessen dürfen, sowie was unter einem Verstümmelten und einem Verschnittenen zu verstehen ist. Der 10. Abschnitt bespricht die Ehen, die auf Grund falscher Meldungen über den Tod eines der Gatten geschlossen sind, sowie die gesetzlichen Folgen der Beiwohnung eines Minderjährigen. Der 11. Abschnitt handelt von der Vergewaltigten, der Proselytin und von den Kindern, die irrtümlich verwechselt wurden. Im 12. Abschnitt wird der Act der Chaliza dargestellt. Der 13. und 14. Abschnitt behandeln das Gesetz von Mëun, d. i. die Weigerung einer Unmündigen, den ihr durch ihre Mutter oder ihren Bruder angetrauten Gatten zu behalten, sowie die eherechtlichen Vorschriften über Taubstumme. Im 15. und 16. Abschnitt wird die Frage besprochen, wann ein Zeugnis über den eingetretenen Tod des Ehegatten als glaubwürdig gilt, und unter welchen Umständen die Frau einen Andren oder den Bruder des Gatten heiraten darf.